Franziska Hoppermann

Systembruch: Regierungskoalitionen lassen neues Wahlgesetz im Bundestag beschließen

In dieser Woche wurde ein neues Wahlgesetz beschlossen. Der Bundestag soll nun, nach den Vorstellungen der Regierungsfraktionen, von aktuell 736 Abgeordneten auf 630 Abgeordnete reduziert werden.

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion teilt diesen grundlegenden Wunsch nach einer Verkleinerung des Bundestages. Jedoch werden mit diesem Gesetz tradierte demokratische Grundprinzipien mit Füßen getreten. Dass ein Wahlkreisgewinner einer Partei nun nicht mehr automatisch ein Mandat im Bundestag erhält, sondern darauf hoffen muss, dass das Zweitstimmenverhältnis im Land sein Ergebnis im Wahlkreis deckt (die sogenannte Zweitstimmendeckung) missachtet fundamental den Wert der Erststimme und damit das Grundprinzip der Stimmengleichheit.

Das hat zur Folge, dass bundesweit zirka 27 Direkt-Wahlkreise nicht mehr durch ein Direktmandat in Berlin repräsentiert werden würden. Das trifft vor allem auch Großstädte wie Hamburg, aber auch München, Stuttgart, Regensburg und viele andere. Diese hohe Zahl „verwaister“ Wahlkreise wird zusätzlich durch die Anhebung der Listenmandate von bisher 299 auf 331 verursacht. Der Grund ist, dass das bisherige Kräftegleichgewicht aus 299 Wahlkreisen und 299 Listenmandaten für die gesetzlich vorgeschriebenen 598 Abgeordneten im Bundestag nach dem alten personalisierten Verhältniswahlrecht so erneut zugunsten der Zweitstimme ausgehebelt wurde.

Überhang- und Ausgleichsmandate, die maßgeblich für die Vergrößerung des Bundestages verantwortlich waren, da sie den Kräfteüberhang anderer Parteien durch gewonnene Direktmandate bei den anderen Fraktionen ausgleichen sollten, werden dadurch obsolet und ersatzlos gestrichen. Das neue Gesetz besagt, dass nun die Hauptstimme (Zweitstimme) der maßgebliche Faktor für den Wahlerfolg und die Größe der Fraktion ist.

Noch weiter geht die Koalition mit der Streichung der Grundmandatsklausel. Diese besagt, dass eine Partei, die zwar an der 5%-Hürde scheitert, aber dennoch mindestens drei Direktmandate gewinnt, in den Bundestag einziehen kann. Dies würde vor allem die Linke treffen, die bei der letzten Wahl aus diesem Grund in den Bundestag einzog. Noch dramatischer: Der Wegfall der Grundmandatsklausel könnte die Repräsentation der CSU im Parlament grundsätzlich gefährden, da ihr Zweitstimmenergebnis prozentual auf Bundesebene hochgerechnet wird. Die CSU ist aber nur in Bayern wählbar. Kommt sie also bundesweit auf nicht mehr als fünf Prozent, würde fast ganz Bayern mit seinen vielen direkt gewählten Kandidaten im Bundestag nicht mehr vertreten sein. Bei der vergangenen Wahl kam die CSU auf 5,2%. Dies ist also kein rein theoretisches Szenario. Es würde schlichtweg dazu führen, dass nahezu alle Wahlkreise in Bayern nicht mehr von ihren Gewinnern im Bundestag repräsentiert würden.

Die Entscheidung der Wähler eines ganzen Bundeslandes würde damit ignoriert werden. In einer repräsentativen Demokratie ist das verfassungsrechtlich höchst fragwürdig. Mit dieser Änderung riskieren wir das Interesse an Wahlen völlig zu verspielen und die Politikverdrossenheit anzukurbeln. Wir stehen vor einem Systembruch. Die Bundesregierung stellt damit die Legitimität des deutschen parlamentarischen Systems in Frage.

Die konstruktiven Vorschläge der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wurden von der Ampel ignoriert. Dazu gehört die Reduzierung und Vergrößerung der Wahlkreise auf 270, die Erhöhung der Regelgröße für Listenmandate auf 320, die Erhöhung der unausgeglichenen Überhangmandate auf die vom Bundesverfassungsgericht zugelassene Anzahl von 15 sowie eine Anhebung der Grundmandatsklausel auf mindestens fünf Mandate. Mit diesen Vorschlägen hätten wir eine Abgeordnetenzahl von 590 erreicht und dazu verfassungskonforme Prinzipien eingehalten.

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